Wenn in Deutschland Christen zu Demonstrationen aufrufen wird mir automatisch schlecht. Dann wird das Kreuz ausgepackt, Mutti malt ein schlecht gereimtes Plakat und dann marschiert die formierte Betroffenheit brav entlang der angemeldeten Wege. Die westdeutsche urbane Mittelschicht - auf niemand anderen kommt es halt in diesem Land an - wiege dann bewegt den Kopf über der abonnierten bundesweiten Tageszeitung und nimmt noch ein Schluck Café Latte...und denkt an Sylt.
Dies ist das Land, in dem die protestierenden Arbeitslosen 1998 stolz darauf waren, daß sie die Arbeitsämter mit Plakaten zugeklebt hatten, die man Dank eines neuen Klebers streifenfrei entfernen konnte. Proteste im Meister Proper Land - dann lieber ein Gläschen Essigreiniger.
Die politische Publizistik - schlecht ausgebildet wie in keinem anderen Land - taumelt zur Zeit von einer redaktionellen Katastrophe zur anderen. Gerade noch hat sie sich zu einer alternative Öffentlichkeit aufgeschwungen, als Sachverwalter des "Reformdrucks". Andererseits gibt es aller Orten die feuchten Träume von der Bürgergesellschaft. Jetzt bauen Zeitleser Barrikaden. Ein Traum für's Feuilleton. So wird es denn wohl auch mit den jetzigen Protesten enden: Sie werden als kuschelige Gemeinschaftserfahrung verbucht, ein Kirchentag für Arme. Als Abendmahl gibt's Dosenbier.
Ich frage mich immer, ob man sich etwas von Journalisten über Wirtschaftspolitik sagen lassen muß, die allesamt für bankrotte Verlage arbeiten. Alle Großzeitungen haben entlassen und standen am Rande des Konkurses. Die SZ verkauft ihren Stammsitz, die FAZ entließ. Die gleichen Akteure, die mit dem neuen Markt schon so völlig daneben lagen, versuchen jetzt ihr publizistisches Glück am deutschen Sozialstaat. Unter dem Trommelfeuer der Sachzwangsapologeten ist der politische Diskurs auf einen Minimalmainstream zusammengeschrumpft.
Erinnert sich noch jemand, daß die deutsche Börse mit der britischen Fusionieren wollte und nur der neue Markt in Frankfurt bleiben sollte? Alle feierten es, jetzt gibt es den neuen Markt nicht mehr. Aber egal, es wird schon richtig sein, wenn es mehr als 500 Wörter hat.
Es bleibt uns nur die Hoffnung, daß Florida Rolf auf seinem juristischen Rachefeldzug gegen die Gesellschaft, die so gern seinen Tod gesehen hätte, weiterhin jeden Prozeß gewinnt. Wo waren eigentlich die Montagsdemonstranten, als den Hilfebedürftigen in den Knästen in Übersee die Hilfe gestrichen werden sollte?
Nein, ich möchte, daß der Datschenpreis fällt und daß alle Kirchen zu "MyGeizig"'s werden. Wenn dann noch Bischof Krenn Papst wird, sieht die Welt endlich so aus, wie sie ist.